[United States War College] Vorlesung I: Führungstechnik

Es gibt 10 Antworten in diesem Thema, welches 2.077 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Joshua L. Chamberlain.

  • Im Hinblick auf die geplanten Manöver der United States Armed Forces beginnen wir hier eine Serie von Vorlesungen bezüglich Führung im Gefecht und taktischen Lehrmethoden.


    Wer Gefechte gewinnen will, braucht neben den nötigen Kampfmitteln und einer zweckmässigen Taktik vor allem den festen Willen, den Gegner schlagen zu wollen. Dieser Wille kann sich nicht auswirken, wenn es dem Führer nicht gelingt, zeitgerecht die wichtigen Nachrichten zu beschaffen und Entschlüsse zu fassen und diese auch zeitgerecht zu verwirklichen. Das zu gewährleisten, ist der Sinn der Führungstechnik. Sie ist somit Mittel zum Zweck und hat sich nach der Lage zu richten. Kein Schema gilt, nur das Ziel: die Führungstätigkeiten im laufend zu führenden Gefecht und für das gleichzeitig zu planende nächste Gefecht möglichst geschickt auszuüben.


    Folgende Reihenfolge der Führungstätigkeiten hat sich dabei bewährt:


      - Analyse des Auftrages oder Ereignisses, das zum Handeln veranlasst
      - Anordnung von Sofortmassnahmen
      - Erstellen eines Zeitplanes
      - Beurteilung der Lage
      - Entschlussfassung
      - Befehlsgebung
      - Organisation der Kontrolle der Befehlsgebung
      - Kampfplanung


    Die Erfahrung zeigt, dass ein Überspringen von einzelnen oder mehreren Führungstätigkeiten fast immer zu groben Führungsfehlern führt. Auch unter ausserordentlich starkem Zeitdruck oder wenn man meint, eine Lage lasse nur eine Lösung zu: keine Führungstätigkeit auslassen ist erste Voraussetzung für gute Führung im Gefecht.

    Joshua Lawrence Chamberlain
    Former Secretary of State & Secretary of Defense
    Ret. General United States Army
    Former Chairman der Joint Chiefs of Staff

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  • Die Analyse eines Auftrages oder eines Ereignisses, das zum Handeln veranlasst, bezweckt Klarheit darüber zu gewinnen, in welchem Rahmen (Absicht des übergeordneten Führers und andere Auflagen für das eigene Handeln) und unter welchen Zeitverhältnissen der Verband zu handeln hat.


    Die Lage kann verlangen, gleichzeitig Verschiedenes zu tun. Eine solche Lage besteht beispielsweise, wenn ein Verband verteidigt und eingebrochenen Gegner bekämpft und nun zusätzlich den Auftrag erhält, sich zurückzuziehen. Es ist auch denkbar, dass der ursprüngliche Entschluss oder sogar der erhaltene Auftrag in Frage gestellt wird. Kennzeichen solcher Lagen ist ihre Komplexität und damit die Forderung für den Kommandanten, sich Klarheit zu verschaffen über den Rahmen und die Zeitverhältnisse, bevor er zu handeln beginnt. In anderen Fällen ist die Lage aber so eindeutig, dass die Analyse schon nach sekundenlanger Überlegung ergibt, dass Rahmen und Zeitverhältnisse klar sind.


    In beiden Fällen ist die Analyse Sache des Kommandanten und spielt sich in seinem Kopf ab.


    Die Analyse ist somit nicht eine erste Beurteilung der Lage oder Teil der späteren Beurteilung der Lage, sondern bloss eine die Führungstätigkeiten einleitende Überlegung, die in bezug auf den Rahmen und die Zeitverhältnisse lagegemässes Handeln erlauben soll.

    Joshua Lawrence Chamberlain
    Former Secretary of State & Secretary of Defense
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  • Für die Vorbereitung von Aktionen steht häufig nur wenig Zeit zur Verfügung. So können beispielsweise der Gegner und verspätete Befehlsgebung des übergeordneten Führers kurze Vorbereitungszeiten aufzwingen. Aber noch bedeutungsvoller für fehlende Zeit ist der Wille des Führers, schneller zu handeln als der Gegner. Der Schnellere macht dann jeweils schon etwas anderes, als der Aktion des langsamer Führenden zugrunde lag, und es besteht die Gefahr, dass jede weitere Aktion des Langsameren ihn in der Führung noch weiter zurückfallen lässt, bis er schliesslich handlungsunfähig wird. Dieses ständig schneller Führen wollen und damit der Wille, dem Gegner den eigenen Willen aufzuzwingen, ist der Hauptgrund, weshalb wir für die Vorbereitung von Aktionen häufig nur über wenig Zeit verfügen.


    Wem aber wenig Zeit zur Verfügung steht, muss sie möglichst gut ausnützen. Er muss deshalb gestaffelt befehlen. Massnahmen, die noch vor der eigentlichen Entschlussfassung befohlen werden, bezeichnet man als Sofortmassnahmen. Sie werden als Vorbefehle erlassen und dürfen dem Entschluss nicht vorgreifen und die Entschlussfreiheit nicht einschränken. Sie umfassen Massnahmen,


    a) mit denen der Zeitbedarf vom Anfang der Führungstätigkeiten bis zum Beginn einer Aktion möglichst gering gehalten werden kann, z.B.


      - Führungsgehilfen und Verbindungsoffiziere alarmieren
      - Ort und Zeit von Befehlsausgaben befehlen
      - Unterstellte über Auftrag, Deckname und über ungefähren Zeitpunkt des Eintreffens neuer Befehle orientieren
      - Änderungen von Bereitschaftsgraden
      - Vorsorgliche Inmarschsetzung
      - Regelung zeitraubender Massnahmen wie Versorgung, Aufbau von Verbindungen, Stellungsbezüge von Unterstützungswaffen, Bildung von ad hoc Transportformationen, Verkehrsregelung
      - Verbindungsaufnahmen und Absprachen
      - Neuunterstellungen


    b) mit denen Grundlagen für die Entschlussfassung beschafft werden können, z.B.


      - Aufklärung
      - Beobachtung
      - Erkundung


    c) mit denen die Handlungsfreiheit gewahrt werden kann, z.B.


      - Geheimhaltung
      - Täuschung
      - Zerstörungen
      - Auslösen bzw. widerrufen von Alarmen und Warnungen
      - Errichten von Sperren
      - Inbesitznahme wichtiger Geländeteile.


    Aufgrund eines neuen Auftrages oder eines Ereignisses überlegt sich der Führer Sofortmassnahmen. Über die Anordnungen von Sofortmassnahmen muss der Führer sich Rechenschaft geben können, d.h. er muss sie begründen können. Zu regeln ist, wer die Sofortmassnahmen befiehlt und die Ausführung kontrolliert.

    Joshua Lawrence Chamberlain
    Former Secretary of State & Secretary of Defense
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  • Damit eine Aktion zeitgerecht beginnen kann, ist mit einem Zeitplan festzulegen, wann die Führungstätigkeiten abgeschlossen sein müssen. Es ist somit zu bestimmen,


      - wieviel Zeit die unterstellten Führer und ihre Unterstellten für die Vorbereitungen einer Aktion benötigen,
      - wann sie deshalb ihren Befehl erhalten müssen,
      - wieviel Zeit für die Übermittlung dieser Befehle nötig ist und
      - wieviel Zeit darum für die eigene Entschlussfassung und Vorbereitung der Befehlsgebung zur Verfügung steht.


    Aus diesen Überlegungen ist abzuleiten, wann der Kommandant seinen Entschluss zu fassen hat und wann den Unterstellten zu befehlen ist. Soll der Zweck des Zeitplans erfüllt werden, sind die einzelnen Schritte, besonders aber der erste, sorgfältig und wirklichkeitsnah zu beurteilen. Der Zeitplan muss insbesondere berücksichtigen, dass die Vorbereitungen der untersten Stufen häufig die zeitraubendsten sind.


    Wenn der Führer weiss, was zu tun ist, was beispielsweise der Fall ist, wenn er einen neuen Auftrag erhält, ist der Zeitplan unmittelbar nach dem Befehlen von Sofortmassnahmen und damit noch vor der Entschlussfassung zu erstellen. Er hat aber provisorischen Charakter und ist zu überprüfen, sobald der Entschluss gefasst ist. Muss sich der Führer zuerst entscheiden, was zu tun ist, dann ist mit dem Erstellen des Zeitplans und selbstverständlich auch mit dem Befehlen von Sofortmassnahmen zuzuwarten, bis diese Frage beantwortet ist. Denn Sofortmassnahmen und Zeitplan sind ja nur im Hinblick auf eine bestimmte Aktion bestimmbar und sinnvoll.

    Joshua Lawrence Chamberlain
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  • Bevor ein Entschluss gefasst wird, ist die Lage zu beurteilen. Das heisst, die feindlichen und eigenen Möglichkeiten unter Berücksichtigung aller die Aktion beeinflussenden Faktoren zu erkennen und zu bewerten.


    Im Gefecht muss die Lage häufig unter Zeitdruck und physischer und psychischer Belastung beurteilt werden. Es besteht deshalb die Gefahr, dass die Lage oberflächlich und lückenhaft beurteilt wird. Dem entgeht der Führer, wenn er sich zwingt, die Lage nach stets gleichbleibendem Denkvorgang zu beurteilen. Aber nicht nur das: soll ein Denkvorgang reflexartig angewendet werden können, muss er sehr einfach sein. Ein Vorgehen, das in zahlreichen Schritten die verschiedenen in der Beurteilung der Lage wichtigen Elemente wie Gegner, eigene Mittel, Gelände, Witterung und zeitliche Verhältnisse unabhängig voneinander zum Auftrag in Beziehung setzt und die Resultate später zu kombinieren sucht, um gegnerische und eigene Möglichkeiten zu erkennen, entspricht dieser Forderung nicht. Es ist zu kompliziert und überfordert in vielen Fällen unser Gedächtnis. Im Gefecht muss das Erkennen einer gegnerischen oder eigenen Möglichkeit nur aus einem einzigen, allerdings alle wichtigen Elemente zusammenfassenden Schritt bestehen. Die nachfolgende Darstellung zeigt, wie diese Forderung verwirkicht werden kann.


      - Denkvorgang 1: Was kann der Gegner unter Berücksichtigung der Umwelt mit welchen Mitteln in welcher Zeit tun, um mich am Erfüllen meines Auftrages zu hindern?
      - Resultat: Feindmöglichkeiten


      - Denkvorgang 1a: Bewertung der Feindmöglichkeiten in bezug auf ihre Bedeutung für das Erfüllen des eigenen Auftrages.
      - Resultat: Eventuell: wahrscheinlichere/weniger wahrscheinlichere und gefährlichere/weniger gefährlichere Feindmöglichkeiten.


      - Denkvorgang 2: Was kann ich unter Berücksichtigung der Umwelt mit welchen Mitteln in welcher Zeit und in bezug auf die Feindmöglichkeiten tun, um meinen Auftrag zu erfüllen?
      - Resultat: Eigene Möglichkeiten


      - Denkvorgang 2a: Bewertung der eigenen Möglichkeiten in Bezug auf die Auftragserfüllung
      - Resultat: Vor- und Nachteile der verschiedenen eigenen Möglichkeiten


    Denkvorgang 1:


    Die Absicht des Gegners ist unbekannt. Der Führer ist deshalb auf andere Anhaltspunkte angewiesen, um herauszufinden, was der Gegner tun könnte: auf dessen taktische Doktrin und auf das, was er zusätzlich in der konkreten Lage über den Gegner, die eigenen Kräfte und die Umwelt weiss. Das ist nur theoretisch viel. Praktisch verfügt der Führer meistens nur über spärliche und teilweise unsichere Grundlagen, um die Lage zu beurteilen. Es ist deshalb schwierig, die wirklichkeitsnahen Feindmöglichkeiten zu erkennen. Viel Vorstellungskraft ist dazu nötig. Sie ist aber durch Sachlichkeit und Unvoreingenommenheit zu zügeln, wenn das Resultat einigermassen brauchbar sein soll.



    Denkvorgang 1a:


    Nicht alle Feindmöglichkeiten beeinflussen das Erfüllen des eigenen Auftrages in gleicher Weise. Ihre Bedeutung ist deshalb zu bewerten. Sie hängt davon ab, wann, wo und wie stark eine feindliche Aktion das Erfüllen des eigenen Auftrages beeinflussen kann. Ist die feindliche Aktion nur mit schwachen Kräften und erst kurz vor dem Erreichen des eigenen Angriffsziels denkbar, ist sie weniger gefährlich als der feindliche Angriff starker Kräfte aus der Flanke in die sich zum Angriff entfaltenden eigenen Kräfte. Besonders gefährlich ist eine Feindmöglichkeit, wenn sie das Erfüllen des Auftrages rasch und nachhaltig in Frage stellen kann. Wenn sie aber wenig wahrscheinlich ist, wird sie beim Formulieren eigener Möglichkeiten eine kleinere Rolle spielen als eine etwas weniger gefährliche, aber sehr wahrscheinliche Möglichkeit. Als wahrscheinlich kann eine Feindmöglichkeit vor allem dann beurteilt werden, wenn


    - Vorbereitungen dazu erkannt sind,
    - sie als logische Folge des bisherigen Vorgehens und Verhalten des Gegners bezeichnet werden darf,
    - sie grundsätzlich in den Rahmen seiner taktischen Doktrin passt und
    - der Gegner über Mittel verfügt, sie zu verwirklichen.


    Der Führer muss sich bei der Bewertung der Feindmöglichkeiten vor vorgefassten Meinungen hüten: Aussagen über die Gefährlichkeit und die Wahrscheinlichkeit sind mit Anzeichen zu begründen.



    Denkvorgang 2:


    Eigene Möglichkeiten zu erkennen, verlangt vom Führer kreatives, unvoreingenommenes und umfassendes Denken. Wann zu handeln ist, diktiert allerdings häufig die Lage. Der Führer muss sich deshalb vorerst im klaren sein, wieviel Zeit ihm zum Handeln zur Verfügung steht, so dass er nur eigene Möglichkeiten entwickelt und für die weitere Beurteilung übernimmt, die zeitlich machbar sind. Auch das Gelände spielt sehr häufig eine einschränkende Rolle und bestimmt, was überhaupt möglich ist. Die sorgfältige und umfassende Geländebeurteilung spielt deshalb beim Erkennen eigener Möglichkeiten eine wesentliche Rolle. Ebenfalls wichtig ist das Kräfteverhältnis, wenn sich der Entschluss auszuwirken beginnt. Es bestimmt weitgehend, was einem Verband taktisch zugetraut werden kann. Aber der Führer hat hier grösseren Spielraum als bei der Zeit und dem Gelände: fehlende Kräfte können beispielsweise durch Überraschung, höheren Kampfwillen oder bessere Führung wettgemacht werden.



    Denkvorgang 2a:


    Um die Vor- und Nachteile einer Lösung zu erkennen, ist zu beurteilen, wie sich ihre besonderen Merkmale auf das Erfüllen des Auftrages auswirken.


    Eine Lösung setzt zum Angriff vielleicht nur schwache Kräfte, aber sofort, in günstigem Gelände und gegen den Schwachpunkt der gegnerischen Kräfteaufstellung ein. Diese Lösung bereinigt die Lage rasch und nützt die momentane Schwäche des Gegners aus; gelingt sie jedoch nicht, kann erst einige Stunden oder Tage später mit stärkeren Kräften angegriffen werden. Eine andere Lösung könnte darin bestehen, später und mit stärkeren Kräften anzugreifen. Sie hätte den Vorteil, die eigene Aktion gründlicher vorbereitet und besser unterstützt beginnen zu lassen, ist aber mit dem Nachteil verbunden, dass der Gegner sich bis zum Angriffsbeginn verstärken könnte.

    Joshua Lawrence Chamberlain
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  • Der Entschluss bestimmt, wie der Führer den Auftrag erfüllen oder in einer bestimmten Lage handeln will. Um ihn fassen zu können, wägt der Führer die eigenen Möglichkeiten gegeneinander ab. Kriterien für dieses Abwägen sind der Erfolg - also die Wahrscheinlichkeit, dass der Auftrag erfüllt oder die Lage bereinigt werden kann - und die eigenen Verluste. Der Führer entscheidet sich für eine Möglichkeit, die gesamthaft beurteilt viel Erfolg verspricht, die eigenen Verluste aber möglichst niedrig hält. Wer aber nichts riskiert, schliesst von vornherein Aktionen mit grossen Erfolgschancen aus und wird auf die Dauer auf der Verliererseite stehen. Der Führer muss deshalb bei der Wahl des Entschlusses entscheiden, wieviel Risiko er eingehen will. Das ist Ermessenssache. Aber Beurteilungskriterium dafür ist der vermeintliche Erfolg: Mut und Kühnheit müssen sich lohnen.

    Joshua Lawrence Chamberlain
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  • Zeitdruck, Ungewissheit über die Lage und unsichere Verbindungen sind hervorstechende Kennzeichen des Führungsklimas im Gefecht. Nicht lange, alles vorschreibende und koordinierende Befehle sind somit die Kennzeichen guter Befehlsgebung, sondern möglichst viele Aufgaben dezentralisieren, nur das Nötige, das aber möglichst frühzeitig befehlen und den Unterstellten Freiheit lassen in der Ausführung von Aufträgen.


    In der Regel besteht ein Befehl aus einer Orientierung, der Absicht, den Aufträgen, besonderen Anordnungen und Standorten. (Merksatz: OAABS)


    Die Orientierung schafft bei den Unterstellten einen einheitlichen und möglichst zutreffenden und umfassenden Orientierungsstand über die Lage und die Möglichkeiten des Gegners und die Lage und Aufträge benachbarter Truppen und orientiert über den eigenen Auftrag. Den Kern der Orientierung bildet die persönliche Auffassung des Führers über die Lage. Er hat vor allem unmissverständlich zu sagen, was er über den Gegner und dessen Möglichkeiten denkt. Auf diese Weise begründet er seinen Unterstellten nicht nur indirekt seinen Entschluss, sondern stellt auch sicher, dass sie ihr Handeln der gleichen Lage, besonders aber der gleichen Feindauffassung unterordnen. Natürlich kann sich der Führer auch irren. Aber wenn er den Unterstellten überlässt, sich aus den vorhandenen Nachrichten ein eigenes Urteil zu bilden und jeder Unterstellte sein Handeln von verschiedenen Voraussetzungen leiten lässt, ist eine kraftvolle Ausführung der Absicht nicht mehr möglich.


    Im Befehl wird der Entschluss als Absicht zum Ausdruck gebracht. Die Absicht sagt aus, wie der Auftrag erfüllt oder in einer bestimmten Lage gehandelt werden soll und muss Leitlinie sein für die Unterstellten, wenn Befehle ausbleiben, aber doch zu handeln ist.


    Auf höheren taktischen Stufen enthält die Absicht in der Regel die Gefechtsform, zu der sich der Führer entschlossen hat, und chronologische Angaben über den Einsatz der Mittel. Auf den unteren taktischen Stufen ist die Gefechtsform häufig vorgeschrieben so dass die Absicht sich vor allem über den chronologischen Ablauf von Feuer und Bewegung äussert. Auf allen Stufen gehört zur Absicht eiine klare Aussage über das Schwergewicht.


    Zu formulieren ist die Absicht einfach, unmissverständlich und aussagekräftig.


    Einfach: Die Absicht auf den Stufen Einheit und Kampfgruppe darf nur so lang sein, dass sie der Unterstellte noch auswendig wiederholen kann. Und in der Regel ist es zweckmässig, in chronologischer Reihenfolge zu sagen, wie man den Auftrag ausführen will.


    Beispiel:


    „Nach der Feuervorbereitung der Artillerie gegen die vermuteteten Panzerstellungen will ich mit Schwergewicht rechts angreifen, vorerst den Weiler A nehmen und die Reserve bereithalten, um nachher gegen B stossen zu können.“


    Unmissverständlich: Es sind weder Fremdwörter noch unbestimmte Ausdrücke oder unbekannte Begriffe zu brauchen. Wenn auch nur der leiseste Zweifel besteht, dass eine Aussage missverstanden werden könnte, ist anders, nämlich unmissverständlich zu formulieren.


    Aussagekräftig: Weil jeder Führer sich zu einem Schwergewicht entschliessen muss und der Kampf mit den Elementen Feuer und Bewegung in Raum und Zeit geführt wird, sind es vor allem diese Elemente, die der Absicht Aussagekraft verleihen.


    Beispiele:


    „Ich will
    - das Gros meiner Kräfte im linken Abschnitt einsetzen,
    - den gegnerischen Vorstoss zuerst mit Feuer verlangsamen und
    - mit einer durch die Artillerie unterstützten Reserve bereit sein, eingebrochenen Gegner im Abschnitt links oder rechts zu vernichten.“


    „Ich will
    - noch in der Nacht und ohne Feuervorbereitung die vorderen Bataillone in die Angriffsgrundstellung bringen, und
    - ab Tagesanbruch nach einer kurzen Feuervorbereitung mit Schwergewicht links angreifen.“

    Joshua Lawrence Chamberlain
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  • Wer einem Unterstellten die Verantwortung überträgt, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, darf ihm den Weg dazu nicht vorschreiben. Er würde sonst die Initiative des Unterstellten unterbinden. Der Unterstellte muss freie Hand haben, der Lage gemäss entscheiden zu können.


    Mit dem Auftrag befiehlt der Führer dem Unterstellten somit bloss, was dieser zu tun hat. Wie der Auftrag zu erfüllen ist, entscheidet der Unterstellte. Das ist in unseren Streitkräften Allgemeingut und wird Auftragstaktik genannt.


    Nun ist aber noch etwas anderes zu beachten: Weil die Führer im Gefecht nicht immer unmittelbar in den Ablauf der Ereignisse eingreifen können und auch nie mit Sicherheit wissen, wann sie wieder Gelegenheit erhalten, ihren Einfluss geltend zu machen, müssen andere, die Unterstellten, an ihrer Stelle Chancen ausnützen und überhaupt das Handeln den Umständen anpassen. Das heisst nicht, der Auftrag sei für diese Unterstellten nicht bindend. Aber es setzt voraus, ihn so zu formulieren, dass Unterstellte von sich aus im Sinne des Ganzen handeln können. „Enge“, jeden Schritt vorschreibende und die Unwägbarkeiten des Gefechts nicht berücksichtigende Auftragsformulierung entspricht dem nicht. Nötig ist ein weitgefasster Inhalt, der die Rolle des Unterstellten im Rahmen des Ganzen umschreibt. Oder mit anderen Worten:


      Im Auftrag ist die taktische Gesamtleistung zu befehlen, die von einem unterstellten Verband über eine längere Zeitdauer erwartet wird.


    Aber Auftragstaktik bedeutet natürlich mehr als bloss geschickte Formulierung der Aufträge. Wer Ziele setzt, ohne den Weg für das Erreichen dieser Ziele vorzuschreiben, und wer Aufträge so formuliert, dass sehr viele Entscheide von der unteren Stufe zu treffen sind, muss sich darauf verlassen können, dass seine Unterstellten ohne fremden Anstoss und ohne fremde Hilfe zweckmässig handeln. Gute Auftragsformulierung ist somit nur eine Voraussetzung für zweckmässiges Handeln im Gefecht. Die weitaus bedeutungsvollere ist die Erziehung und Ausbildung zur Initiative und Selbständigkeit. Wer glaubt, im Frieden darauf verzichten zu können, erleidet im Krieg Schiffbruch: ein so anspruchsvolles Verhalten lässt sich nicht improvisieren.

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  • Befehle zu erteilen ist leicht. Sie durchzusetzen verlangt vom Führer, im geplanten Gefechtsablauf besonders wichtige und heikle Tätigkeiten vorausschauend zu erkennen, diese zu überwachen oder durch Führungsgehilfen überwachen zu lassen, um wenn möglich an Ort und Stelle Störungen beheben zu können und das Verwirklichen seiner Absicht zu erzwingen.


    Mit der Kontrolle des Gefechts will der Führer jedoch noch mehr erreichen: Er will auch erkennen können, wann sich die Lage so verändert hat, dass er seinen Entschluss anpassen oder sogar einen neuen Entschluss fassen muss. Solche Korrekturen sind nicht selten mit einem erheblichen Risiko verbunden und können gesamthaft gesehen eine vorübergehende Schwäche bedeuten. Erkennt sie der Gegner und handelt er entsprechend, wird vielleicht das Erfüllen des eigenen Auftrages in Frage gestellt.


    Ohne zwingenden Grund ist deshalb nicht vom einmal gefassten Entschluss abzuweichen. Wenn aber der Führer beispielsweise merkt, dass mit der Verwirklichung seines Entschlusseszu hohe Verluste verbunden sind oder der Gegner auf andere Art und akzeptablem Risiko noch vernichtender geschlagen werden könnte, ist ein neuer Entschluss zu fassen oder der bestehende anzupassen.

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  • Der Entschluss ist das Konzentrat von Gedanken, die sich der Führer über den ganzen möglichen Verlauf des bevorstehenden Gefechts gemacht hat. Sie finden ihren Niederschlag im Kampfplan, der das örtliche und zeitliche Zusammenwirken aller Kräfte regelt und die Grundlage bildet für die Befehlsgebung. Unmittelbar nach der Entschlussfassung legt der Führer diesen Kampfplan in seinen groben Zügen selber fest und bestimmt auch, wie er mit vorbehaltenen Entschlüssen Lageentwicklungen begegnen will, die seine Handlungsfreiheit einschränken oder ihn sogar am Erfüllen des Auftrages hindern könnten. Einzelheiten dieser vorbehaltenen Entschlüsse zu bestimmen, beispielsweise die Voraussetzungen für ihr Auslösen und die einzusetzenden eigenen Kräfte, gehört ebenfalls zur Kampfplanung. Weil zeitlich am wenigsten dringend, stehen solche Arbeiten in der Regel am Schluss der Führungstätigkeiten.


    Parallel zur Führung des laufenden Gefechts hat sich ein Führer aber auch Gedanken über das nächste Gefecht zu machen, um so wenn immer möglich zukünftiges Handeln schon in die Entschlüsse für das laufende Gefecht einfliessen zu lassen und später rascher führen zu können. Der Führer plant somit im laufenden Gefecht bereits das nächste Gefecht. Weil diesbezügliche Planungen meistens auf unsicheren Annahmen beruhen, können sie nur das Grundsätzliche betreffen.

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  • Damit ist die erste Vorlesung des United States War College abgeschlossen. Thema war die Führungstechnik. Die einzelnen Schritte der Führungstätigkeiten, wie hier beschrieben, kann man sich mit dem Merksatz ASEBEBOK einprägen.

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