Elemente der Taktik
Kampf bedeutet den Einsatz zweier Parteien in Raum und Zeit. Die Taktik hat demnach vier Elemente zu berücksichtigen: den Gegner, die eigenen Mittel, die Umwelt und die Zeit.
Der Wert dieser Elemente wird von messbaren und nicht messbaren Faktoren bestimmt. Die Trefferwahrscheinlichkeit von Waffensystemen im Duell mit dem Gegner beispielsweise ist mathematisch bestimmbar. Panzer ohne Feuerleitsystem treffen im besten Fall vielleicht auf tausend Meter im ersten Schuss und sind gegnerischen Panzern mit Feuerleitsystem unterlegen. Auch die Zerstörungswahrscheinlichkeit von Munition oder der Verzögerungswert von Hindernissen lässt sich berechnen, und die Quantität, also die personelle und materielle Stärke, ist genau bestimmbar.
Aber wie soll die Quantität mit der Qualität, mit der Art der Ausrüstung und Bewaffnung, aussagekräftig verbunden werden? Was ist zum Beispiel wertvoller: 10 Geschütze mit einer Reichweite von 30 km oder 20 Geschütze, die bloss 20 km weit schiessen? Und noch heikler ist es, die Bedeutung von Faktoren wie der Disziplin oder der Qualität von Führern im Vergleich zu quantitativen Aussagen zu beurteilen. Denn Kampfmittel kommen ja im Rahmen von Verbänden zum Einsatz. Menschen setzen sie ein, und was diesen dabei zugetraut werden kann, ist nicht genau berechenbar. Vieles ist hier nur zu schätzen.
Zudem ist der Führer im Kampf nie vollumfänglich über die eigenen und gegnerischen Mittel im Bild, und auch das Wissen über die Umwelt kann Lücken aufweisen. Er kann darum nicht in Kenntnis aller Tatsachen entscheiden, sondern bloss aufgrund von Teileindrücken. Teileindrücke, deren Bedeutung nicht immer klar ist oder die ein zuwenig umfassendes Bild ergeben, um einen Entschluss fassen zu können. Der Führer muss sie deshalb durch Vermutungen ergänzen. Das verlangt beispielsweise, sich vorzustellen, wie der Gegner denken und handeln könnte und setzt überhaupt grosses Vorstellungsvermögen über den Verlauf von Gefechten voraus.
Der Führer hat im Kampf nicht selten auch zu gewichten, also gewissen Ereignissen mehr Bedeutung beizumessen als anderen. Nicht jeder bewertet die Luftlandung im Rücken eines Verbandes gleich. Einer hat die Auffassung, sie könne ihn am Erfüllen des Auftrages nachhaltiger hindern als der gleichzeitige gegnerische Angriff in der Front. Ein anderer Führer beurteilt den Angriff in der Front für das Erfüllen seines Auftrages als gefährlicher und entscheidet gerade umgekehrt. Beide Führer müssen gewichten, weil ihnen die Mittel fehlen, um gleichzeitig an zwei Stellen erfolgreich einzugreifen. Sie gewichten und entscheiden nicht gleich, weil die Auswirkungen einer Aktion in wesentlichen Bereichen nicht berechnet, sondern nur geschätzt oder vermutet werden können, also Ermessenssache sind.
Aber nicht genug, der Führer hat auch über das Risiko zu entscheiden, das er eingehen will. Denn wer nichts riskiert, dem bieten sich kaum genug Chancen den Gegner zu schlagen und das Gefecht zu gewinnen. Aber wieviel riskieren? Der eine Führer wagt in der gleichen Lage mehr als der andere. Er ist kühner und geht ein grösseres Risiko ein. Der Charakter beeinflusst seine Taktik.
Sich taktisch zu entscheiden, bedeutet somit: objektiv und subjektiv Bestimmbares zueinander in Beziehung bringen und mit einem gewissen Risiko verbinden.
Die Aufgabe ist schwierig und die Versuchung deshalb gross, Taktik berechenbar und zur Wissenschaft machen zu wollen. Das ist unmöglich: Qualität und Quantität der zu beurteilenden Elemente und ihre Bedeutung sind zuwenig genau bestimmbar. Aber ebenso offensichtlich ist, dass Überlegungen zur Taktik nur zu einem brauchbaren Resultat führen, wenn dabei der Anteil des Objektiven möglichst gross gehalten wird.