Sankt Florian als Schutzpatron der Demokratie?

Es gibt 11 Antworten in diesem Thema, welches 675 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Palin Waylan-Majere.

    • "Heiliger Sankt Florian / Verschon' mein Haus / Zünd' andre an!"

    In Österreich fand heute eine rechtlich nicht bindende Volksbefragung dazu statt, ob die Wehrpflicht abgeschafft und durch ein Berufsheer sowie einen einjährigen freiwilligen Sozialdienst, der Männern wie Frauen offenstünde, ersetzt werden soll.


    Ersten Hochrechnungen zu Folge haben rund 60% der Abstimmenden für die Beibehaltung der Wehrpflicht gestimmt, die Abstimmungsbeteiligung lag bei etwa 50%.


    Das finde ich irgendwie interessant, d. h. interessant fände ich, mal zu erfahren, wie Abstimmungsbeteiligung und -ergebnis bei männlichen Österreichern ausgesehen haben, die noch keinen Wehr- oder Zivildienst geleistet haben. (Das aktives Wahlrecht erhält man in Österreich übrigens schon mit 16 Jahren.)


    Denn rechnen wir mal so: Eine nur für Männer geltende Wehrpflicht beschwert etwas mehr als die halbe Bevölkerung - Frauen - schon mal nicht. Hinzu kommen all jene Männer, die aus verschiedenen Gründen - gesundheitlich, familiär, beruflich etc. - keinen Wehr- oder Zivildienst leisten müssen bzw. nie leisten mussten. Männer, die sich sowieso freiwillig zum Wehrdienst melden, um Soldat auf Zeit oder Berufssoldat zu werden, werden durch die Wehrpflicht auch nicht in ihrem Leben beeinträchtigt.


    Lassen wir die Frage, ob die Wehrpflicht für einen Staat und eine Gesellschaft vorteilhaft ist, mal außen vor und unterstellen einfach, es sei so: Die Vorteile haben dann 100% der Bevölkerung.


    Aber welcher Anteil der Bevölkerung hat die daraus entstehenden Lasten zu tragen? Auf jeden Fall deutlich weniger als die Hälfte, so dass er jederzeit bequem überstimmt werden kann.


    Alle wollen Sicherheit vor außenpolitischen Bedrohungen, alle wollen eine demokratischer Kontrolle unterliegender Armee (und keinen "Staat im Staat"), alle wollen, dass die Kosten für soziale und gemeinnützige Dienstleistungen bezahlbar bleiben, alle finden es gut, wenn "jeder mal was für die Gemeinschaft tun muss" - und die Mehrheit hat die bequeme Möglichkeit, dafür zu stimmen, dass andere Leute das alles für sie machen sollen. Finden sie bestimmt gut. :kritischguck

  • "Wenn aber die ungerechte Regierung von vielen geführt wird, so heißt das Demokratie, das ist Volksherrschaft, in der die breite Masse die Reichen durch die Macht Ihrer Überzahl unterdrückt. Dann wird das ganze Volk wie ein einziger Tyrann sein." (angeblich Thomas von Aquin, aber da muss wohl ein Fehler vorliegen)

  • Wobei mich ein solches Ergebnis schon überrascht. Zumindest in Deutschland war ich immer der Meinung, daß die Wehrpflicht schon lange vor ihrer Abschaffung eigentlich nicht mehr mehrheitsfähig war bzw. ja auch von der Politik eher aus "sekundären" Gründen (Wir brauchen Zivis und Bundeswehrnachwuchs) als aus sicherheitspolitischen aufrecht erhalten wurde. Dennoch würde ich das nicht zum "Geschlechterkampf" erheben. Schließlich stimmen da auch Mütter ab, die ihren Sohn im Zweifel zur Armee geben müssen.

  • Und trotzdem gibt es in Deutschland immernoch genug engstirnige Menschen, für die ein Zivildienstleistender ein Drückeberger etc, wenn mann dann sogar kurz beim Bund war und nachträglich verweigert hat, ist man schon fast ein Mensch zweiter Klasse.
    Aber die ganzen Leute, die sich ausmustern lassen, obwohl sie eigentlich topfit sind, finde ich am schlimmsten.

    There is many a boy here today who looks on war as all glory, but, boys, it is all hell. You can bear this warning voice to generations yet to come. I look upon war with horror.




    Former Commandant of the United States Marine Corps;
    Former Chairman of the Joint Chiefs of Staff;


    Marines never die, they just go to hell to regroup.


    McQueen Petroleum

  • Ich denke auch, dass wenn es in Deutschland eine Volksbefragung oder -abstimmung über die Abschaffung (bzw. Aussetzung) der Wehrpflicht gegeben hätte, die Mehrheit sich für ihre Beibehaltung ausgesprochen hätte.


    Ganz einfach aus dem Grunde, dass ihre Befürworter so viele schöne irrationale bis emotionale Argumente gehabt hätten, welche Vorteile sie "uns allen" bringt, während die mit ihr einhergehenden persönlichen Belastungen eben nur von einer Minderheit zu tragen waren.


    Soviel ich weiß, haben zuletzt nur noch ca. zwei Drittel der Männer eines Jahrgangs Wehr- oder Zivildienst geleistet, verrechnet man das mit den Frauen also nur noch jeder dritte Angehörige eines Jahrgangs. Und unter den Dienstleistenden sind dabei zudem noch jene mitgerechnet, die sich freiwillig zum Wehrdienst gemeldet haben, oder sich ihren Zivildienst als Praktikum, auf eine Ausbildung oder so anrechnen lassen konnten, durch ihre Dienstpflicht also auch nicht in dem Sinne beschwert waren.


    Das hat weniger mit "Geschlechterkampf" zu tun, als eben mit dem sprichwörtlichen Sankt-Florians-Prinzip: "Ja, ich bin dafür, finde ich gut, wenn andere Leute ... "


    Ein anderes Beispiel dafür ist das derzeit in Bayern laufende Volksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren. Unterschreiben das genug Leute, gibt es eine Volksabstimmung über die Frage - in der dann eine Mehrheit, die entweder gebührenfrei studiert hat, oder weder studiert, noch in Zukunft studieren will, effektiv darüber entscheidet, ob eine Minderheit, die derzeit studiert oder in Zukunft studieren will, Studiengebühren zahlen muss.


    Denen werden die Befürworter von Studiengebühren dann wieder erzählen, welchen Gewinn sie aus Studiengebühren haben, die andere Leute bezahlen müssen.


    Um dieses meines Erachtens Problem der Demokratie geht es mir. ;)

  • Ich sehe das Problem. Das ist ja auch genau der Grund, warum Rouseeus Demokratietheorie für den Eimer ist, dass der Mehrheitswille auch der Gemeinwille ist und wenn er halt darin besteht, daß 51% beschließen, die anderen 49% umzubringen: Pech gehabt. Genau deshalb kennt ja aber die moderne Demokratie den Minderheitenschutz bzw. räumt auch der Minderheit im Rahmen der politischen Vertretung politische und vor allem unverletzliche persönliche Rechte ein. Und daher kann es eben im umgekehrten Fall sein, daß 10 Vogelschützer oder ein Bauer mit Wertschätzung für seine Aussicht den Bau einer Schnellstraße aufhalten können. Insofern muss das Verhältnis hier auch immer wieder neu ausgehandelt werden. Insofern ist die Wehrpflicht zwar ein sehr plastisches Beispiel, aber das Grundproblem besteht eigentlich immer: Schließlich sind auch Mütter mit Kindern, Rentner, Arbeitslose, "Reiche", etc. für sich genommen numerische Minderheiten, über die aber im gesamtgesellschaftlichen Kontext (repräsentiert durch Regierung, Parlament oder eben auch Volksentscheid) entschieden wird. Ein Problem das auch noch dazu kommt, gerade wenn man den gesamtstaatlichen Kontext verlässt ist die "geographische" Deckungsgleichheit. Ein Beispiel war die S21 Abstimmung, in deren Vorfeld die Diskussion aufkam: Wer soll entscheiden? Die Stuttgarter, die die Baustelle vor der Tür haben oder alle Landesbürger, die ggf. von der Anbindung betroffen sind bzw. potentiel vom Umbau profitieren können, nicht aber dem Baulärm ausgesetzt sind... Auflösen lässt sich das wahrscheinlich nie vollständig.

  • Eine zumindest Näherungslösung könnte bei bestimmten Fragen das Prinzip der "doppelten Mehrheit" sein, wie es auch in der Schweiz praktiziert wird, um eine Überstimmung der kleinen durch die großen Kantone zu verhindern: Man zählt die Stimmen der Mitglieder einer von einer bestimmten Entscheidung allein beschwerten Minderheit gesondert.


    Geht es z. B. um die Wehrpflicht, dann die der noch ungedienten und noch nicht endgültig aus irgendwelchen Gründen befreiten Männer, geht es um Studiengebühren, dann die der Studenten und Abiturienten, geht es um "Stuttgart 21", dann die der Stuttgarter usw.


    Sind sich "Lastenträger" und "reine Profiteure" einig, dann gut. Wenn nicht, muss eben neu verhandelt werden, um möglichst einen Kompromiss zu erzielen.

  • Dann hast Du aber das Problem, wie man bei vielen Fragen die Grenze zieht. Im Fall Stuttgart/BaWü könnte das ja noch gehen. Sollte dann z.B. beim Elterngeld eine seperate Abstimmung im Bundestag mit Abgeordneten ohne und mit Kindern stattfinden? Und man kann dem deutschen pol. System viel vorwerfen, aber es ist so schon sher (manche sagen auch zu sehr) konsenslastig ausgelegt.

  • Gute Frage, zugegeben. ;)


    Ein "schönes" Problem der repräsentativen Demokratie illustriert ja auch, wie z. B. regelmäßig mehrheitlich privat krankenversicherte - weil verbeamtete - Bundestagsabgeordnete Leistungskürzungen und Beitragserhöhungen der gesetzlichen Krankenversicherung beschließen ... :hm


    Referenz zur Diskussion über die Landtagswahl in Niedersachsen und die Piratenpartei:


    Ist: "Es geht nun mal nicht besser (gerechter, demokratischer ... ) also so!", wirklich eine befriedigende Antwort, oder nur eine Ausrede für mangelnde Fantasie? ;)

  • Nein ist es nicht ;) Ich muss auch morgen nochmal mehr dazu schreiben, aber ich sollte mal pennen gehen. Dennoch ein Gedanke, der auch eine Frage aufwirft, bzw. ein Problem, für das ich auch keine Lösung weiß:


    Es wird ja gerade auch immer wieder and er Zusammensetzung des Bundestages kritisiert, daß bestimmte Gruppen extrem überrepräsentiert sind. Dies trifft auf Beamte zu, aber z.B. auch auf Juristen bzw. generell Akademiker. Keiner im Bundestag war ja z.B. vorher Hartz 4 Empfänger. Gerade die Beamtlastigkeit kann man kritsieren, aber ich würde ja andererseits auch gar nicht wollen, daß unsere politische Führung einem sozioökonomischen Querschnitt der Gesellschaft vom Professor bis hin zu RTL2 Frauentausch wiedergibt, sondern finde es durchaus angebracht - so snobistisch das klingen mag -, daß sich Politiker aus einer Elite rekrutieren - wobei sich Elite hier auf Bildung bezieht.


    Und darüber hinaus kann eine bürgernahe Repräsentanz auch ein Problem sein, daß wir trotz des obigen Arguments auch sehen. Wenn nämlich ein Politiker gewählt wird, weil er seit seiner Geburt im gleichen Kaff wohnt, indem ihn jeder mag, weil er beim Schützenfest Hundebabies streichelt, bringt das auch gerne einen Schlag provinziellen Provinz-Klientelpolitiker hervor, für den das Bonn-Berlin Gesetz wichtiger ist als das Grundgesetz, der sich dann gerne mal auf der Auslandsreise blamiert usw.


    Kleintelnahe Repräsentation - und jetzt schreibe ich doch schon wieder viel - hat auch noch ein anderes Problem, denn sie wird auch oft falsch verstanden. Ich finde z.B. nicht, daß eine 32 jährige Ministerin geeignet ist, "junge Leute" oder gar Jugendliche zu vertreten, denn wer mit 32 Minister wird, der hat ein Leben zwischen Parteitagen und Wahlkampfständen geführt, daß mit der wirklichen Lebenswelt der eigenen Generation nichts gemein hat, ausser das er/sie im Vergleich zum 70 jährigen Minister vielleicht noch weiß, was ein IPhone ist. Das Gleiche gilt z.B. für ausgwiesene "Eltern" in der Politik ("Ist doch toll, wenn eine Mutter von 23 Kindern Familienministerin wird...."), denn das macht Politik dann zur Betroffenheitspolitik. Und bei der Vorstellung des so beschriebene Prenzlauer Berg Mütter Mafia Politik mit dem Erfahrungshintergrund macht wie unmöglich es ist, daß der kleine Sören auf dem Spielplatz neulich eine Bierdose gefunden hat, dann ist der Sache auch nicht gedient.


    Der Fortschritt der "Volkspartei" im politikwissenschaftlichen Kontext wird ja auch gerade darin gesehen, daß diese eben nicht bewußt aus dezidiert die Interessen einer klar abgegrenzten gesellschaftlichen Gruppe (z.B. Arbeiter oder Bauern) vertritt und sich demnach auch bewußt nur für die Interessen dieser Klientel einsetzt, sondern daß sie zumindest programatisch einen gesamtgesellschaftlichen Entwurf anbietet. Eine Demokratie, die Interessengruppen nicht mehr integriert, sondern - sozusagen "ungefiltert" auf einander loslässt würde nicht funktionieren. Ganz abgesehen davon, dass man ja auch immer mehreren überlappenden Gruppen angehört (Mutter, Arbeiterin, Christin, Frutarierin, usw. ;) )

  • Eine zumindest Näherungslösung könnte bei bestimmten Fragen das Prinzip der "doppelten Mehrheit" sein, wie es auch in der Schweiz praktiziert wird, um eine Überstimmung der kleinen durch die großen Kantone zu verhindern: Man zählt die Stimmen der Mitglieder einer von einer bestimmten Entscheidung allein beschwerten Minderheit gesondert.


    Gemeint ist das Ständemehr, d.h. eine Abstimmungsvorlage bedarf sowohl der Mehrheit der Abstimmenden als auch der Mehrheit der Kantone, also auch in der Mehrheit der Kantone müssen die Wähler zur Abstimmung ja sagen. In der Praxis führt das aber dazu, dass die Wähler aus den bevölkerungsschwachen Kantonen wie Uri, Glarus, Appenzell Inner- und Ausserrhoden sowie Nid- und Obwalden eine viel höhere Stimmkraft haben als diejenigen aus den bevölkerungsreichen Kantonen wie Zürich, Waadt, Bern und Aargau. Die Stimmkraft eines Appenzeller Wählers soll mehr als 50mal so stark sein wie die eines Zürcher Wählers - wie demokratisch das dann wieder ist, sei dahingestellt.


    Zur Wehrpflicht. Ich war Hauptmann und Kompaniekommandant, am Schluss Of z Vfg Brigade Kdt, also viel um den rum, und habe um die 950 Militärdiensttage. Aber wenn bei uns die Abstimmung kommt Wehrpflicht ja oder nein werde ich für die Abschaffung der Wehrpflicht stimmen. Die ist längst nicht mehr zeitgemäss und wie effizient das Militär mit seinem Personal umgeht, das weiss ich nun wirklich aus allererster Quelle. Wie man halt eben mit Leuten umgeht, denen man einfach einen Brief schreiben kann, sie hätten dann und dort zu sein und man muss sie nicht bezahlen. Sowas funktionierte vielleicht früher in Zeiten grösster Gefahr, aber nicht in einer postheroischen Gesellschaft voller Individualisten.


    Warum wird die Wehrpflichtabstimmung trotzdem auch in der Schweiz, wie in Österreich, scheitern? Die Militärdienstpflichtigen werden zu 95 % für die Abschaffung stimmen. Aber die alten Kameraden, die Veteranen, die stimmen für die Wehrpflicht, weil sie mussten ja auch ins Militär und dann sollen die Jungen auch gehen. Ausschlaggebend werden aber die Frauen sein und dort höre ich sehr, sehr viel die Meinung, das Militär tue jedem gut. Selber war man zwar nicht im Militär und eine Frauenwehrpflicht kommt auch nicht in Frage, aber trotzdem halt. War übrigens auch bei der Armeeabschaffungsabstimmung der GSoA 1989 so.


    Es ist mir ein Rätsel, weshalb man von offizieller Seite nicht zur Berufsarmee wechseln will, die Leistungen der Armee wären viel effizienter und professioneller. Frankreich hat es vorgemacht. Und teurer wäre es auch nicht.

    Joshua Lawrence Chamberlain
    Former Secretary of State & Secretary of Defense
    Ret. General United States Army
    Former Chairman der Joint Chiefs of Staff

  • Wehrpflicht kann man ja machen. Dann aber bitteschön wie in Israel für beide Geschlechter. Gut, dort können sich die Tora-Fetischisten um den Dienst drücken, aber solche Ausnahmeregelungen finden sich auch anderswo. Ich kam um die Bundeswehr bzw. den Ersatzdienst herum, weil ich 2 ältere Brüder habe. Glück gehabt.


    Ein Argument pro Wehrpflicht ist ja oft das des "Staatsbürger in Uniform" - also das dort auch normale Leute versammelt sind und nicht nur (überspitzt gesagt) die ganzen Kaputten, die den Einsatz mit dem Egoshooter aus dem Hause Valve verwechseln.

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